10 Kilometer über der Erde.

Die Anzeige im Flugzeug spricht von nicht mal zwei weiteren Stunden, bevor wir in Japan ankommen. Und hier, schräg über Seoul, mit müden Beinen und fehlendem Zeitgefühl, stelle ich mir Fragen, die ich noch nicht beantworten kann.

Wie wird es sich anfühlen, in einem Land anzukommen, das für mich weder bekannt noch unbekannt ist? Ich bin aufgewachsen mit diesen vielen Geschichten über das Land meiner Großeltern, benutze für manche alltäglichen Wörter nur den japanischen Begriff, weil es keine deutsche Übersetzung für sie gibt, weiß, wie man eine henkellose Teetasse richtig hält und was den Sushireis zum Sushireis macht.
Aber irgendwie weiß ich auch gar nichts. Vielleicht kommen wir, die wir in so vielen Kulturen aufgewachsen sind, nicht umhin, uns immer ein bisschen fehl am Platz zu fühlen. In Deutschland seltsam angeschaut zu werden, wenn man Onigiri statt Butterbrote dabei hat, Orte und Namen anders ausspricht. Und im Land der Verwandten von einem Fettnäpfchen ins nächste zu treten.
Davor habe ich etwas Angst: Nur Fehltritte zu machen. Nicht einmal deshalb, weil ich mich vor den Meinungen Anderer sorge, sondern vielmehr, weil ich mir damit selbst beweisen werde, dass ich eben auch hier ein kleines bisschen fehl am Platz bin.

Ob ich in Japan zu einem Teil von mir selbst finden werde? Es ist nicht mein erstes Mal in diesem Land, aber die Art und Weise, wie ich mich mit meiner eigenen Identität beschäftige, hat sich seitdem vertieft. Auch hier Angst: Dass ich nicht fündig werde und stattdessen erkennen muss, dass die Teile in mir drin, die ich als japanisch bezeichne, nicht japanisch genug sind, um diesen Titel tragen zu dürfen.

Das Recht zu haben, sich irgendwie zu bezeichnen, wer gibt uns das? Unser Pass? Unser Geburtsland? Unsere Eltern? Brauchen wir dieses Recht überhaupt oder ist es nur ein dummes Konzept, das sich Leute ausgedacht haben, die Menschen in Kategorien ordnen wollten, um die eigenen Bedürfnisse auszuleben?

Tatsache ist: Ich bin keine Touristin, aber auch keine Einheimische, und in dieser Balance ein Selbstverständnis zu finden, wird nicht einfach werden.

Gleichzeitig aber ist die Vorfreude kaum zu stoppen. Ist ja wohl klar. Ich meine: Tokyo! Abgesehen davon, dass diese Stadt ganz unabhängig von meinem inneren Konflikt genug zu bieten hat, um mehrere Leben auszufüllen. Denn wie schön ist es irgendwie auch, dass all diese Fragen in meinem Kopf noch nicht beantwortet sind, sondern stattdessen von Hirnhälfte zu Hirnhälfte schwirren, so, wie auch ich gerade am Durch-die-Luft-Schwirren bin?

In zweieinhalb Monaten sitze ich wieder in diesem Flieger, nur spiegelverkehrt, und wer weiß, was ich da für Antworten für mich selbst parat haben werde?

Also, Nach-Japan-Sophia, erzähl doch mal:
– Wie geht es dir?
– Was fühlst du?
– Wie war das, in dem Land deiner Vorfahren zu leben?
– Was hast du über dich selbst gelernt?
– Was nimmst du aus Japan für dich mit?
– Gibt es so etwas wie eine Balance zwischen Identitäten? Und lohnt es sich, sie anzustreben?